Buchempfehlungen
Zu den Veranstaltungen des Forums für jüdische Geschichte und Kultur e.V. in Nürnberg laden wir regelmäßig Autoren ein, die ihre Werke und die jeweilige Thematik im Rahmen von Lesungen vorstellen.
Ronen Steinke: Terror gegen Juden
Anklage und aufrüttelnder Aufruf für mehr politischen Willen
In diesem Buch geht es nicht um Helden der jüngeren Vergangenheit, nicht um so mutige Männer wie Fritz Bauer und Mohamed Helmy, deren Geschichte aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts der Autor engagiert, aber als neutraler Beobachter in früheren Büchern beschrieben hat.
Das vorliegende Buch "Terror gegen Juden" ist (leider) hochaktuell. Es geht darum, was jetzt um uns herum passiert, um unsere Gegenwart und die Gestaltung unserer unmittelbaren Zukunft.
Der Autor schreibt engagiert und aus persönlicher Erfahrung. Angefangen von eigenen Erlebnissen als Jugendlicher in Nürnberg bis dazu, wie seine und andere Kinder heute
die Fahrt zur festungsartig gesicherten Grundschule erleben. Freunde und Personen, die den Autor geprägt haben, kommen zu Wort. Er berichtet über seine Gespräche mit Betroffenen und Verantwortlichen, die der erfahrene Journalist geführt hat. Viele der Namen kennt man aus den aktuellen Medien. Die Missstände, die Ronen Steinke beschreibt, betreffen ihn auch persönlich, so wie die rund hunderttausend Juden, die heute wieder in Deutschland leben.
Wer regelmäßig Zeitung liest, dem dürften viele der als Beispiele genannten Untaten bekannt sein, zumindest die der letzten Jahre. Der Doppelmord an Shlomo Levin und Frieda Pöschke im Dezember 1980 in Erlangen, mit dem der Autor das Buch einleitet, ging seinerzeit durch die Presse, mit falschen Verdächtigungen und den erschreckenden Fehlleistungen der ermittelnden Behörden. Als man schließlich einen Rechtsradikalen bei der Wehrsportgruppe Hoffmann als Täter ermittelt hatte, war dieser längst über alle Berge. Leider gibt es zu viele weitere traurige Beispiele dieser Art.
So ist auch der Anschlag auf die Synagoge in Halle im Oktober 2019 Thema eines ganzen Kapitels. Die eigentlich für den Schutz der Bürger zuständige Landesregierung hatte zwar auf die Gefährdung hingewiesen, aber nichts dagegen unternommen. Nur durch eine Spende der Jewish Agency in New York für die verstärkte Eingangstür, gerade mal ein halbes Jahr vor dem Anschlag, konnte Schlimmeres verhindert werden. Man mag sich nicht vorstellen, wie der Angriff ausgegangen wäre, wenn die Gemeinde nach der Ablehnung durch die zuständigen Landesbehörden nicht bei privaten Geldgebern gebettelt hätte.
Die Liste der sorgfältig recherchierten Untaten ist schier endlos. Allein die als Anhang beigefügte Chronik 1945 bis heute füllt 90 Seiten, von damals nach heutigen Maßstäben eher harmlosen Friedhofsschändungen bis zu den aktuell zunehmenden und gewalttätigen Angriffen auf Menschen. Aufgrund der geschätzten Dunkelziffer könnte die Liste leicht auch fünfmal länger ausfallen. Das kann man erschreckend finden oder als dringenden Aufruf, endlich etwas dagegen zu tun. Für das Letztere ist dieses Buch ein überzeugendes Plädoyer.
Das Versagen des für den Schutz seiner Bürger zuständigen Staates zieht sich durch weitere Kapitel, gleich ob es um den antijüdischen Terror von rechts, von links (hatte man schon fast verdrängt) oder muslimischer Antisemiten ausgeht. Nur ein Bruchteil dieser Taten wird überhaupt erfasst, noch weniger aufgeklärt oder gar bestraft. Ronen Steinke nennt ein paar besonders haarsträubende Beispiele und greift die Verharmlosung durch für unsere Sicherheit Verantwortliche ("Einzelfälle") auf. Er berichtet von milden Urteilen oder sogar Straffreiheit für antijüdischen Terror in Deutschland, wenn dieser nur mit (legitimer) Kritik an der Regierung im tausende Kilometer entfernten Israel begründet wird.
So kann es nicht weiter gehen. Das offensichtliche Versagen staatlicher Institutionen beim Schutz unserer Bürger gefährdet die Grundlagen unseres Zusammenlebens. Aber das Buch ist nicht als jammernde Klage gemeint. Im letzten Kapitel seiner Anklage nennt der Autor vier vergleichsweise leicht umzusetzende Maßnahmen, die den unheilvollen Trend wenden könnten. Es braucht dazu nur den über Lippenbekenntnisse hinausgehenden politischen Willen. Die aktuelle Bewältigung der Corona-Pandemie zeigt, dass unsere Institutionen sehr wohl in der Lage sind, auch gewaltige Probleme zu lösen.
Es bleibt zu wünschen, dass dieses genau recherchierte und dabei leicht lesbare Buch dazu beiträgt. (hs)
(Veranstaltung am 6. Juli 2020)
Ronen Steinke: Der Muslim und die Jüdin
Wer die Fritz Bauer Biografie des gleichen Autors kennt, kann sich auch bei dem neuen Buch „Der Muslim und die Jüdin“ auf den detailliert recherchierten Bericht einer wahren Geschichte freuen.
Der ägyptische Student Mohammed Helmy war ursprünglich nur zum studieren in das Berlin der zwanziger Jahre gekommen. Neben dem Studium genoss er das Leben in einer vergleichsweise offenen Gesellschaft, verliebte sich und beschloss auch als fertiger Internist in Berlin zu bleiben. Heute würde man Dr. Helmy wohl mustergültig integriert nennen. In seinem Freundes-, Patienten- und Bekanntenkreis waren Muslime genauso wie Juden und Christen vertreten. Religiöser Fanatismus und Mission müssen ihm ganz fremd gewesen sein.
Für die kluge und immer wieder trickreiche Rettung des jüdischen Mädchens Anna Boros, für dieses unglaubliche Husarenstück quasi unter den Augen der Nazischergen, möchte man Dr. Helmy bei der Lektüre immer wieder Beifall klatschen. Sowohl er als auch sein Schützling Anna müssen unglaublich starke Nerven gehabt haben. Schließlich waren beide immer wieder unmittelbarer Lebensgefahr ausgesetzt. Dr. Helmy verbrachte sogar einige Monate in Gestapohaft.
Sprachlich ist der leicht lesbare, lebhafte und anschauliche Text ein Genuss. Fast meint man das Geschehen wie in einem Film mitzuerleben. Dabei hat Steinke der Versuchung widerstanden, Details, die nicht belegt sind, einfach ausschmückend hinzuzufügen. Was die Protagonisten jeweils gedacht oder gesprochen haben, kann man sich nur denken (oder ein späterer Drehbuchautor ergänzen). Auf 30 Seiten sind die Quellen detailliert aufgeführt.
Aus heute nicht mehr aufklärbaren Gründen praktizierte Dr. Helmy bis zu seinem Tod 1982 weiter in Berlin. Anna (gest. 1986) zog nach Kriegsende aus dem zerbombten Deutschland nach New York und lebte dort mit ihrer Familie. Im letzten Kapitel beschreibt der Autor seine Besuche zwecks Recherche bei den Angehörigen in Kairo und in New York. Von der Offenheit gegenüber Juden resp. Muslimen, die so prägend für Dr. Helmy gewesen sein muss, ist bei diesen Besuchen nicht mehr viel zu spüren. Die Angehörigen in Kairo kennen persönlich keinen Juden, die in New York keinen Muslim. Man möchte sich wünschen, dass dieses Buch zum Anlass wird, dies wieder zu ändern und sich vielleicht am Ort des Geschehens in Berlin zu verabreden.(hs)
Dr. Ronen Steinke ist Redakteur und Autor der Süddeutschen Zeitung. Viele kennen ihn bereits vom Oktober 2014 aus der Lesung seiner Fritz-Bauer-Biografie im Saal 600. Sie wurde mit »Der Staat gegen Fritz Bauer« (2015) preisgekrönt verfilmt und ins Englische, Polnische und Japanische übersetzt. Für sein neues Buch ist der Autor nach Kairo und nach New York gereist und hat als einziger Autor bisher alle noch lebenden Angehörigen getroffen: die ägyptische Familie des Arabers, der einst in Berlin eine Jüdin gerettet hat, ebenso wie die amerikanische Familie eben dieser Jüdin.
Foto: © Peter von Felbert
(Veranstaltung am 5. November 2017)
Daniela Uher: DAS TAGEBUCH 1968. Jiří Kolář und der Prager Frühling: 66 Collagen, Erlangen 2017
Die kunstgeschichtliche Dissertation unseres Vorstandsmitglieds Daniela Uher nimmt erstmals umfassend das Tagebuch Jiří Kolářs in den Blick, das der große tschechische Künstler während des Prager Frühlings und seiner Niederschlagung 1968 in Form von Collagen führte. Die 66 Collagen enthalten zahlreiche Bezüge zur damaligen politischen Situation, aber auch zum Leben Kolářs sowie zur tschechischen und europäischen Kunst.
Erstmals werden in dem Band auch die verschiedenen Schichten der Collagen, die teilweise mehrfach übereinander liegen, freigelegt und abgebildet. Jeder der Collagen ist eine zwei bis dreiseitige Analyse gewidmet, die dem Betrachter, der nicht so detailliert mit der politischen Situation 1968, dem Lebensweg Kolářs oder der kunsthistorischen Bedeutung bestimmter
Bildinhalte vertraut ist, erst einen Zugang zur montierten Gedankenwelt Kolářs ermöglicht.
Ein Beispiel: Die Collage zur 44. Woche des Jahres 1968 ist “Nürnberg” gewidmet. Hier hatte Kolář eine Einzelausstellung im Künstlerhaus am Königstor, die seinen internationalen Durchbruch bedeutete. Mit dem Titel “Erst diese Ausstellung, und gerade hier, hat mich den Augen der Welt näher gebracht” spielt Kolář darauf an, “…und gerade hier” drückt die Verwunderung aus, dass sein Erfolg ihm ausgerechnet in der Symbolstadt des Nationalsozialismus gelungen ist. Auf einen Hintergrund aus Bruchstücken handschriftlicher altdeutscher Briefe hat Kolář den kleinen Nürnberger Ausstellungskatalog montiert, der auf dem Titel zwei Schmetterlinge zeigt, die aus einem Gemälde von Leonardo da Vincis ausgeschnitten sind. All dies ist mit Bedeutungszusammenhängen verbunden, die man in Daniela Uhres Buch nachlesen kann, auch wenn es sicher nicht möglich ist, alle Anspielungen und Hintergründe in den Collagen Kolářs vollständig aufzuschlüsseln.
Das Buch bietet eine spannende Entdeckungsreise in die Gedankenwelt eines nach wie vor wichtigen und vor allem in den 1970er Jahren in Nürnberg relativ populären Künstlers, dessen Collagezyklus im Neuen Museum Nürnberg verwahrt wird. (Alexander Schmidt)
Pieter G. Kohnstam: Mut zum Leben - Eine Familie auf der Flucht in die Freiheit
Ja, es bedurfte eines beeindruckenden Mutes für diese kleine Familie, die Flucht vor der gnadenlosen Verfolgung durch das deutsche NS-Regime und seinen Fangarmen in ganz Europa zu überstehen.
Die Flucht-Geschichte der Kohnstams zeigt den Verlust der bürgerlichen Existenz und die ständige Gefahr, entdeckt und in Vernichtungslager gebracht zu werden - und das über ein Jahr hinweg. Nicht eine Grenze musste überwunden werden, um in Sicherheit zu gelangen, es waren viele, eine gefährlicher als die andere. Das geht nicht ohne Mut zum Leben.
Die Erzählung zeigt aber auch Menschen, ohne deren Hilfe die Flucht nicht gelungen wäre. Die meisten halfen ohne jede Gegenleistung, sei es aus politischer oder rein humanitärer Haltung, Oft taten sie dies, indem sie sich über Ihre Vorschriften hinwegsetzten.
Der Verfasser dieses Buches, Pieter Kohnstam, war der kleine Sohn, der mit Vater und Mutter auf der Flucht war. Es ist berührend zu lesen, wie er oft „Türen öffnete“ und den Zusammenhalt der Eltern stärkte.
Dieses Buch legt man nicht so schnell aus der Hand, bis die Kohnstams in Barcelona das Schiff nach Argentinien besteigen. Ihr Aufatmen ist gut nachzuempfinden.
Das Buch ist lesenswert; es ist anrührend und informativ. (Jürgen Fischer)
Der Historiker Dr. Helmut Schwarz hat dieses Buch ins Deutsche übersetzt. Als ehemaliger Leiter des Nürnberger Spielwarenmuseums ist er prädestiniert dafür, über die Geschichte des Spielwarenhandelshauses Kohnstam aus Fürth zu schreiben. Er hat das in einem Anhang zu diesem Buch getan. Von der Gründung des Familienunternehmens bis zur Zerschlagung durch die NS-„Arisierung“ ist dies eine deutsche Geschichte.
(Veranstaltung am 16. Mai 2017)
Hermann Glaser: Adolf Hitlers Hetzschrift „Mein Kampf“
Ein Beitrag zur Mentalitätsgeschichte des Nationalsozialismus
Bisher wurde die Zeit des Nationalsozialismus vor allem politisch-historisch versucht zu erklären. Die wirtschaftlichen Folgen des ersten Weltkriegs, die Dolchstoßlegende, Inflation und Arbeitslosigkeit sind die wesentlichen Argumente.
Hermann Glaser hat „Mein Kampf“ kulturhistorisch kommentiert. Er kommt zu dem Ergebnis, dass Hitler in diesem Buch zusammengefasst und
überspitzt wiedergegeben hat, was in der Mentalität der großen Mehrheit der Deutschen seit langem angelegt war.
Glaser zitiert Originalpassagen aus „Mein Kampf“, die dies typisch aufzeigen. Er belegt das akribisch mit vielen Quellen aus dem 19. und angehenden 20. Jahrhundert, die zeigen, „wie das kommen konnte“. Beindruckend: Franz Grillparzers Vision (1849), dass der deutsche, geschichtliche Weg von der „Humanität durch Nationalität zur Bestialität“ führe.
2016 endet der Urheberrechtschutz, den der Freistaat Bayern über Hitlers Verlag „geerbt“ hat. Dann darf „Mein Kampf“ neu gedruckt werden und in den Buchhandlungen aufliegen.
Es wird auch eine kommentierte Ausgabe des Instituts für Zeitgeschichte geben. Die Diskussion über Hitlers übles Machwerk flammt womöglich auf. Glasers Buch ist eine unverzichtbare Kommentierung. (Jürgen Fischer)
Prof. Dr. Hermann Glaser, geboren 1928 in Nürnberg, gestorben 2018. Studium der Germanistik, Anglistik, Geschichte und Philosophie, Schuldienst, von 1964 bis 1990 Schul- und Kulturreferent der Stadt Nürnberg, geprägt von persönlichen Erfahrungen in der Zeit des Nationalsozialismus, war wohl der erste deutsche Publizist, der entgegen dem damaligen, von allgemeiner Verdrängung geprägten Zeitgeist in der Nachkriegszeit damit begonnen hat, die Ideologie des Nationalsozialismus auch im Zusammenhang mit der Mentalitätsgeschichte des deutschen Bürgertums zu begreifen und darzustellen.
Foto: © fotura.de
(Veranstaltung am 23. April 2015)
Ruth Hallo: Die Trostfrauen
Die (fiktive) Chinesin Meian gibt den nach Schätzungen 300.000 Frauen eine Stimme, die die Kaiserliche Japanische Armee während der Besetzung Chinas zur Prostitution gezwungen (und häufig auch ermordet) hat. Trotzdem ist der historische Hintergrund, den man sich grausamer kaum vorstellen kann, noch wenig bekannt. Heute leben nur noch wenige dieser Opfer, meistens ausgestoßen und in bitterer Armut.
Meian erzählt ihre Lebensgeschichte voller sexueller Gewalt und Verrat als schon alte Frau vor einem japanischen Gericht. Ihre Kindheit endet mit 13, als sie mit einem windigen Arbeitsangebot in ein japanisches Militärbordell gezwungen wird.
Dort reagieren sich tausende japanische Soldaten an der Schutzlosen ab. Auch als Meian Jahre später die Flucht gelingt, bleibt sie recht- und schutzlos und sogar in der eigenen Familie ausgestoßen. Nach der frauenfeindlichen konfuzianischen Tradition, der auch ihre Familie anhängt, hätte Meian sich umbringen sollen. Sie überlebt nur mit Lügen über ihre jahrelange Abwesenheit. Erst mit Unterstützung einer Sinologin aus Deutschland (in der die Autorin unschwer zu erkennen ist) ist Meian bereit zu sprechen.
Der Text ist leicht lesbar, detailreich und teilweise verstörend und durchaus drastisch. Hier ist die Entstehungsgeschichte ein wesentlicher Teil des Buches. Die Autorin, die über das Thema auch promoviert hat, schreibt kenntnisreich, niemals belehrend, aber immer mitfühlend. Dieses Buch fesselt ungemein. Man kann es kaum wieder aus der Hand legen. Es geht ungemein nahe und man braucht bei der Lektüre immer wieder Pausen. (Helmut Steinke)
Ruth Hallo, Dr. phil., 1957 in Tel-Aviv geboren, zog 1980 nach Nürnberg. 1994 begann sie ihr Studium der Sinologie, das sie nach Studienaufenthalten in China mit der Promotion beendete. Sie lebt als Autorin und Wissenschaftlerin in Nürnberg.
Foto: © Studio Unger
(Veranstaltung am 3. Februar 2015)
Ronen Steinke: Fritz Bauer oder Auschwitz vor Gericht
Fritz Bauer hat in seinem Leben so viel gemacht und erreicht, dass man sich als Leser dieser genau recherchierten Biografie fragt: Wie hat er das alles nur geschafft? Gleich nach dem Jurastudium lieferte der junge Fritz Bauer nach nur einem Jahr seine Doktorarbeit ab, die die Bestnote bekam. Und diese Arbeit entstand, während Bauer tagsüber als Referendar arbeitete. Seine Beförderung mit nur 28 Jahren zum Amtsrichter war erst der Anfang eines Lebens auf der Überholspur. Von den Nazis im KZ eingesperrt, konnte er später nach Dänemark und später Schweden fliehen und dort überleben.
Als Generalstaatsanwalt, vor allem in Frankfurt, ermöglichte Bauer später die Ergreifung von
Eichmann in Argentinien, brachte er „Auschwitz vor Gericht“, schrieb Bücher, hielt Vorträge, setzte sich für die Abschaffung der Diskriminierung Homosexueller ein, usw. usf. Und das alles in einer jungen Bundesrepublik, in der in den 60-Jahren auf vielen Schlüsselpositionen noch Männer mit NS-Vergangenheit saßen. Vereinsamt und ausgebrannt starb Bauer mit nur 65 Jahren.
Das Buch beschreibt nicht nur eine faszinierende Biografie, sondern auch ein Stück Zeitgeschichte. Unsere heutigen Lebensumstände, so abgesichert und frei sie uns erscheinen mögen, fielen nicht vom Himmel. Fritz Bauer hat dazu mehr beigetragen, als den meisten von uns bisher bewusst war.
Es ist das Verdienst des noch jungen Autors, dies auf eine äußert spannende und sprachlich elegante Weise zu vermitteln. Hier kamen sein juristischer Hintergrund und seine journalistische Erfahrung besonders glücklich zum tragen. Dieses Buch ist bestens lesbar und seine Lektüre uneingeschränkt zu empfehlen. (hs)
Ronen Steinke, Dr. jur., geboren 1983 in Erlangen, ist Redakteur bei der Süddeutschen Zeitung. Zuvor studierte er Jura und Kriminologie, arbeitete in Anwaltskanzleien, einem Jugendgefängnis und zuletzt beim UN-Jugoslawientribunal in Den Haag. Er lebt in München.
Foto: © Ulrike Steinke
(Veranstaltung am 26. Oktober 2014)
Lea Feynberg: Ich werd sowieso Rapper
Es handelt sich dabei um leichte Kost, das muss aber durchaus nichts Schlechtes sein. Das Buch ist gut gemacht und verbindet ganz geschickt verschiedene Elemente: Zum Einen Episoden aus dem manchmal haarsträubenden Schulalltag in einer Sekundärschule in Berlin. Dort versucht eine engagierte und strapazierfähige Lehrkraft ihren Schülern, fast ausschließlich Migranten, beharrlich klar zu machen, dass es durchaus hilfreich ist, einen Schulabschluss zu haben, wenn man reich und berühmt werden will. Die Schilderungen sind sehr unterhaltsam und amüsant und der Blick auf die Schüler enthält viel Sympathie und Anteilnahme. Zum Anderen erzählt die Autorin auch von Ihrer Kindheit in Russland und dem schweren Start in der neuen Heimat, allerdings aus einer etwas anderen Perspektive. Sie sieht ihre gelungene Integration in Deutschland durchaus als "Erfolgsgeschichte" (Originalton) und es wird auch deutlich, welche Faktoren in Familie und Werdegang dazu beigetragen haben.
Es handelt sich dabei um leichte Kost, das muss aber durchaus nichts Schlechtes sein. Das Buch ist gut gemacht und verbindet ganz geschickt verschiedene Elemente: Zum Einen Episoden aus dem manchmal haarsträubenden Schulalltag in einer Sekundärschule in Berlin. Dort versucht eine engagierte und strapazierfähige Lehrkraft ihren Schülern, fast ausschließlich Migranten, beharrlich klar zu machen, dass es durchaus hilfreich ist, einen Schulabschluss zu haben, wenn man reich und berühmt werden will. Die Schilderungen sind sehr unterhaltsam und amüsant und der Blick auf die Schüler enthält viel Sympathie und Anteilnahme. Zum Anderen erzählt die Autorin auch von Ihrer Kindheit in Russland
und dem schweren Start in der neuen Heimat, allerdings aus einer etwas anderen Perspektive. Sie sieht ihre gelungene Integration in Deutschland durchaus als "Erfolgsgeschichte" (Originalton) und es wird auch deutlich, welche Faktoren in Familie und Werdegang dazu beigetragen haben.
Und schließlich kommt auch an einigen Stellen ihre jüdische Identität zum Tragen, auch wenn dieser Aspekt nicht dominiert. Besonders wenn ihre Schüler Vorurteile über Juden absondern, wird entlarvt, wie viel Ignoranz hinter all diesen blöden Sprüchen steckt und dass man echt lauthals darüber lachen müsste, wenn die Auswirkungen und der Hintergrund nicht mitunter so ernst wären.
Im letzten Teil geht die Autorin an einigen Stellen deutlicher auf die Problematik eines Schulalltags unter den Bedingungen ein, die sie an ihrer Berliner Schule vorfindet: Referendare bzw.Lehrer, die unter Erfolgsdruck stehen und mit Erziehungsaufgaben überfrachtet werden, Schüler mit bildungsfernem und schwierigem sozialen Hintergrund. Trotzdem fällt ihr Fazit des Schuljahres und ihres Lehrerlebens erstaunlich positiv aus.
Alles in allem: Ein gesellschaftlich relevantes Thema ausgesprochen unterhaltsam verpackt und mal ein positiver Blick auf ein hinlänglich bekanntes Dilemma. Aber schließlich habe ich auch diesen Teil der jüdischen Kultur inzwischen ganz gut kennengelernt: Nur nicht aufgeben und mit Humor und ein wenig Nachsicht auf die großen und menschlichen Schwächen geblickt, die uns umgeben – das bringt Einen am Ende weiter. (Sabine Stamminger)
Lea Feynberg, 1980 geboren in Moskau, Russland, wanderte mit 10 Jahren nach Deutschland ein, studierte Pädagogik, Geschichte und Politik in Heidelberg und lebt heute in Berlin.
(Veranstaltung am 2. Juni 2014)